Freiburger Schriften zur Hydrologie
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Band/volume 24: Leibundgut Ch. & Uhlenbrook S. (Eds) (2007):
Abflussbildung und Einzugsgebietsmodellierung
Das Wirkungsgeflecht einzelner Abflussbildungsprozesse im Einzugsgebiet ist hochkomplex und ohne experimentelle Untersuchungen nicht realistisch abzuschätzen. Da von großen räumlichen und zeitlichen Variabilitäten ausgegangen werden muss, sind die Prozesskenntnisse meist unzureichend. Somit gestaltet sich eine prozessgerechte Modellierung schwierig. In Verbindung mit klassischen experimentellen Verfahren haben Tracermethoden ein hohes Potential zur Entschlüsselung der Abflussbildung auf der Einzugsgebietsskala erwiesen. Eine systematische Prozessuntersuchung mit geschachteltem Einzugsgebietsansatz war jedoch lange Zeit nicht angegangen worden.
Auf dem Gebiet der Einzugsgebietsmodellierung wurden in den letzten Jahren viele Fortschritte erzielt. Eine große Schwierigkeit ist dabei die flächendeckende Bereitstellung der räumlich und zeitlich variablen Daten für diese komplexen Modelle. In der Praxis werden deshalb häufig einfachere konzeptionelle Niederschlag/Abfluss-Modelle mit geringeren Datenansprüchen angewendet. Die Beschreibung der Abflussbildungsprozesse ist in diesen Modellen allerdings häufig zu vereinfacht, um eine prozessgerechte Modellierung als Grundlage für Stofftransportsimulationen zu gewährleisten.
Ein großes Problem der Einzugsgebietsmodellierung liegt zudem in der Unsicherheit der Modellergebnisse, die mehrere Ursachen hat. Ein wesentlicher Grund ist, dass die Modellparameter häufig über Kalibrierung bestimmt werden, da sie in der Mesokala nicht vorliegen oder nicht messbar sind. Die Parameterunsicherheit bedingt, dass mit unterschiedlichen Parametersätzen ähnlich gute Modellergebnisse erzielt werden. Solche Unsicherheiten können den heutigen Anforderungen nicht mehr entsprechen. Deshalb kommt der Modellvalidierungeine besondere Bedeutung zu.
Ziel des Gesamtprojektes „Abflussbildung und Einzugsgebietsmodellierung“ war es, diese Defizite anzugehen, um eine bessere prozessorientierte Beschreibung der Abflussbildung im Rahmen der Einzugsgebietsmodellierung in der Mesoskala zu ermöglichen. Es sollten experimentelle Methoden wie beispielsweise Tracerverfahren in Verbindung mit klassischen hydrometrischen Verfahren weiterentwickelt werden, um Abflussbildungsprozesse in der Mikroskala und der Einzugsgebietsskala (Mesoskala) zu identifizieren. Darauf aufbauend sollten prozessbasierte Beschreibungen der Abflussbildung entwickelt werden, die eine verbesserte (weniger unsichere) Abflussmodellierung in der Mesoskale ermöglichen. Das gesteigerte Prozessverständnis und weiterentwickelte hydrologische Modelle sollten dazu beitragen, die Unsicherheiten bei Prognosen zu Auswirkungen des Global Change zu reduzieren.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurden mehrere Arbeitsgruppen mit verschiedenen spezifischen Kenntnissen zusammengeführt, die über gut ausgerüstete Untersuchungsgebiete mit einer hohen naturräumliche Variabilität verfügen. Sechs institutionelle Projektpartner fanden sich zu vier Arbeitsgruppen zusammen: die AG Freiburg i. Br., die AG Zittau, die AG Potsdam/Wien und die AG Bochum. Die Untersuchungsgebiete lagen im Südschwarzwald (Brugga und Dreisam), im Sauerland (Husten), im Erzgebirge (Rotherdbach, Wernersbach und Mandau) und in den Ostalpen (Limbergalm, Löhnersbach und Saalach).
Die vier Arbeitsgruppen haben in den gut ausgestatteten Untersuchungsgebieten der unteren Mesoskala gemeinsam prozess-hydrologische Forschungsarbeiten durchgeführt und Einzugsgebietsmodelle weiterentwickelt. Dazu brachte jede Arbeitsgruppe ihre eigene, auf langjährigen Erfahrungen beruhende Expertise bezüglich experimenteller Methoden und Modelltechnik ein. Eine besondere Herausforderung stellte die hohe naturräumliche Variabilität der Untersuchungsgebiete zwischen Sauerland und Alpenraum dar. Vor diesem Hintergrund ergaben sich signifikante Synergieeffekte, sowohl hinsichtlich der natürlichen Vielfalt an Abflussbildungsbedingungen in den verschiedenen Untersuchungsgebieten als auch bezüglich der experimentellen und modelltechnischen Methodiken.
Die experimentellen Untersuchungen lieferten in allen Gebieten wichtige Erkenntnisse zur hydrologischen Reaktion mikroskaliger Umsatzräume wie beispielsweise den Deckschichten, den Talauenaquiferen, den Sättigungsflächen und den Gerinnen. Dies wurde durch detaillierte Prozessstudien unter gleichzeitiger Anwendung diverser Methoden (Grundwasser- und Bodenwassermonitoring, künstliche und natürliche Tracer, klassische hydrometrische Verfahren) erreicht. So wurden zur Parametrisierung und Validierung der Wasserflüsse über hundert Tracerexperimente (natürliche und künstliche Tracer) im Rahmen des Gesamtprojektes durchgeführt. Interessant ist, dass in allen Gebieten die besondere Bedeutung der unterirdischen Abflussprozesse (lateraler Hangabfluss sowie Grundwasserkomponenten) für die Hochwasser-bildung nachgewiesen werden konnte. Die Generierung der lateralen Hangabflusskomponenten variierte stark in den verschiedenen Untersuchungsgebieten und hing von lokalen Gegebenheiten ab – wie beispielsweise dem Einfluss der Schneeschmelze, der Änderung der hydraulischen Leitfähigkeit mit der Tiefe, der Hangform, den konvektiven oder advektiven Niederschlägen und anderen Faktoren. Für die Bildung von Landoberflächenabfluss war die Verbreitung und Lage von Sättigungsflächen von größerer Bedeutung als die Bildung von Horton’schen Oberflächenabfluss (klassischer Infiltrationsüberschuss). Diese Schlussfolgerung bezieht sich auf die in den vier Projektjahren beobachteten Ereignisse, eine stärkere Bedeutung von Infiltrationsüberschuss während Extremereignissen ist wahrscheinlich.
Neben den Erkenntnissen über einzelne hydrologische Umsatzräume in der Mikroskala wurde durch experimentelle mesoskalige Arbeiten der Einfluss der Einzugsgebietsgröße auf die räumliche Heterogenität der natürlichen Tracer sowie auf die systematische hydrologische Ereignisreaktion detailliert erfasst und dargestellt. So konnten Prozesse, die erst auf der Ebene der Mesoskala erkennbar werden, ermittelt und größere Teilgebiete diesbezüglich verglichen werden. So konnten integrale Erkenntnisse über die hydrologische Reaktion von Teileinzugsgebieten, den hydrologischen Systemen, die aus zahlreichen verschiedenen Umsatzräumen aufgebaut sind, gewonnen werden. Die Ergebnisse unterstreichen gesamthaft die Wichtigkeit sowohl des mikroskaligen als auch des mesoskaligen Prozesswissens bei der prozessorientierten Niederschlag-Abfluss-Modellierung mesoskaliger Gebiete. In diesem Projekt wurde das experimentell erarbeitete Prozesswissen über hydrologische Raumgliederungen mit Hilfe des WBS-Systems regionalisiert und in die prozessbasierten Einzugsgebietsmodelle (siehe unten) integriert.
In den Untersuchungen zu den Wasserflüssen an Hängen im Einzugsgebiet der Brachtpe konnte durch die Verknüpfung von experimentellen und modelltechnischen Arbeiten ein physikalisch basierter Ansatz zur Beschreibung der lateralen Wasserbewegung im Hang, basierend auf dem Modell der kinematischen Welle, entwickelt werden. Neben den Faktoren Boden, Landnutzung und Geologie spielt das Relief (Hangform und Neigung) eine entscheidende Rolle. Die numerische Simulation der Wasserflüsse unter Einbindung der geomorphometrischen Einflussfaktoren erfolgt durch ein Finite-Differenzen-Verfahren mit einer Diskretisierung nach der expliziten Lax-Methode.
Es wurden zwei prozessorientierte, flächendetaillierte Einzugsgebietsmodelle für die Mesoskala entwickelt (insbesondere AG Freiburg und AG Potsdam/Wien). Beide verwenden hyrologische Raumgliederungen (basierend auf GIS-Daten und WBS-Anwendung) und simulieren die hydrologischen Prozesse räumlich und zeitlich hoch aufgelöst (50 x 50 m2 bzw. 200 x 200 m2, Stundenwerte oder kürzere Intervalle). Die Modelle sind generell ähnlich in ihren raum-zeitlichen und in ihren mathematischen Konzepten. Das Modell der AG Potsdam/Wien simuliert die rasche Abflusskomponente physikalisch basiert (Diffusionsanalogie) und behandelt die unterirdischen Abflusskomponenten einfacher als das Modell der AG Freiburg. Dieses modelliert zwar die Oberflächenabflüsse vereinfachter, behandelt jedoch die unterirdischen Komponenten etwas komplexer und prozessbasierter. Beide Modelle konnten durch Einbeziehung zusätzlicher experimenteller Daten detaillierten Modellvalidierungen (multi-response validation) unterzogen werden. Insbesondere konnte durch das TACD-Modell gezeigt werden, wie durch die Integration zusätzlicher experimenteller Daten die Unsicherheitsbereiche der Abflusssimulation reduziert werden können. Umfangreiche Sensitivitätsanalysen wurden durchgeführt, um die Plausibilität der Modellstruktur zu prüfen. Es zeigte sich generell eine starke Abhängigkeit der Güte der hydrologischen Modellierung von ausreichenden Inputdaten, insbesondere des Niederschlags. Um die Reduktion der Modellunsicherheit bei einer Integration von Multiple-response- und Multi-scale-Daten zu analysieren, wurden auch verschiedene statistische Gütemaße kombiniert.
Trotz erheblicher Fortschritte in der Erforschung der Abflussbildung bleibt erheblicher Forschungsbedarf bestehen. Die Methodik der experimentellen Untersuchung mesoskaliger Einzugsgebiete ist weit entwickelt, kann aber durch neue technische Möglichkeiten noch ausgebaut werden. Das Fernziel der Modellierung von Einzugsgebieten in anderen Naturräumen ohne aufwändige Experimente ist noch nicht erreicht.
[ english summary ]
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